Mittwoch, 20. Juli 2011

Alkoholerkrankung (II)

In meiner Langzeittherapie wurde mir und den anderen Mitpatienten immer wieder nahe gelegt, regelmäßig eine Selbsthilfegruppe zu besuchen. Ziel dabei ist es (auch) - denke ich - die eigene Krankheit nicht aus dem Auge zu verlieren. Das passiert offenbar häufig. Viele der anderen Alkoholiker die ich während meiner Therapiezeit erleben durfte, haben mir erzählt, dass sie ja gar nicht "krank" im üblichen Wortsinn seien - im Gegenteil! Nun, da sie ja nicht mehr trinken würden, fühlen sie sich großartig und sind erst wieder richtig auf dem Weg, völlig gesund zu werden. Einige von denen sind noch während der Therapie wieder rückfällig geworden. Teilweise ist der Rückfall von ihnen als solcher nicht einmal richtig wahrgenommen worden. Es gab die abstruse Erklärung, dass man ja nun schon soweit in der Therapie fortgeschritten sei, dass man zum einen weitere therapeutische Maßnahmen nicht mehr benötigt und darüber hinaus auch wieder kontrolliert trinken könne. Man habe "alles im Griff". Das ist natürlich Selbstbetrug.

Der regelmäßige Besuch einer Selbsthilfegruppe kann sicherlich dabei helfen, diesen Selbstbetrug möglichst schon im Ansatz zu unterbinden bzw. zu entlarven. Allein schon deswegen, weil man dann regelmäßig daran erinnert wird, dass man eine unheilbare Suchterkrankung hat und man sich mittelbar oder auch unmittelbar ständig mit den Gefahren, die das mit sich bringt, auseinander setzt bzw. auseinander setzen muss. Unabdingbare Voraussetzung ist aber zunächst einmal das Eingeständnis an sich, alkoholkrank zu sein und der unabdingbare Wille trocken werden zu wollen und bleiben zu wollen.

Ich besuche nach wie vor keine Selbsthilfegruppe. Ich schrieb schon, dass ich bisher keine Gruppe gefunden habe, die zu mir passt, bzw. zu der ich passe. Die allseits bekannten Anonymen Alkoholiker sind mir zu religiös und zu wenig wissenschaftlich orientiert. Außerdem habe ich bei Ihnen die Erfahrung gemacht, dass es oft in Ihren Versammlungen darauf hinausläuft, dass sich ein oder mehrere altgediente Mitglieder mehr oder minder regelmäßig wegen ihrer schändlichen Alkoholobsession selbst „zerfleischen“, bevor sie dann einer „höheren“ Macht dafür danken, dass sie an diesem Tag keinen Alkohol getrunken haben. Das ist mir zu einfach - oder besser gesagt -zu schlicht im Denken und Handeln.
Weitere Gruppen, die ich besucht habe, schreckten mich vor allem deswegen ab, weil ihre Mitglieder schlichtweg alt und verbohrt waren. Nun, ich bin jetzt 49 Jahre alt – gewiss kein junger Hüpfer mehr – aber in diesen Gruppen saßen Mittfünfziger, die ich locker in den Greisenbereich stecken würde. Sicher, die Krankheit lässt einen vorzeitig altern und es braucht leider eine ganze Zeit, bis man soweit ist, die notwendige Selbsterkenntnis zu tragen. Sicherlich auch ein Grund, warum es wenig junge Leute in diesen Gruppen gibt.
Die letzte Gruppe die ich „besucht“ habe, war eine Online-Gruppe im Internet. Eigentlich eine gute Sache, so eine Internet-Selbsthilfegruppe. Aber auch da stieß ich nach kurzer Zeit an Grenzen, die es mir unmöglich machten mich dort weiter einzubringen und die es auch den anderen Mitgliedern der Gruppe unmöglich machte, mich als Mitglied weiterhin zu „ertragen“.

Ich bin aber auch meine eigene Selbsthilfegruppe – es vergeht kein Tag, an dem ich nicht über meine Alkoholerkrankung nachdenke. Jede Situation in der ich früher Alkohol getrunken hätte, bringt mich dazu, mich damit zu beschäftigen. Ich trauere dem Konsum von Alkohol in keinster Weise nach – im Gegenteil – ich bin sehr froh darüber, dass ich keinen Alkohol (mehr)trinken muss. Ich spüre und ich spürte seit meiner Entgiftung nie einen Drang dazu, wieder Alkohol zu trinken. Ich kann dieses Gefühl des „Saufdruckes“ nicht nachvollziehen und habe deshalb wohl auch erhebliche Schwierigkeiten, dies als Problem bei anderen anzuerkennen. Ich gebe zu, dass ich sehr rigoros in der Beurteilung von mehrfach rückfälligen Alkoholikern bin. Nicht nur bei Alkoholikern – eigentlich bei allen Suchtkranken.

Es gibt da diese Hypothese des Alkoholismus die da lautet: „Der Rückfall gehört zum Krankheitsbild des Alkoholismusses“. Es mag sein, dass dies wohl in der Praxis einfach aufgrund der Fallzahlen so zu postulieren ist. Trotzdem bedeutet es für mich eine gewisse Akzeptanz der Unfähigkeit. Die Krankheit Alkoholismus kommt schließlich nicht naturgegeben „über einen“, sondern sie ist immer durch eigenes Handeln bewusst erworben! Ich nehme einfach niemandem ab, dass er nicht gewusst haben will, dass regelmäßiger Alkoholkonsum gesundheitsschädlich ist und zur Abhängigkeit führen kann. Ich wusste das ganz genau und ich glaubte – wie vermutlich alle Alkoholiker – darüber zu stehen – eben „alles im Griff“ zu haben. Ich weiß es jetzt besser. Für immer. Ich kann das nicht „vergessen“.

Wenn ich rückfällig werde, wenn ich wieder Alkohol trinke, dann weiß ich jetzt erst recht, wie schädlich dies für mich, für meine Familie, für meine Freunde und für die Gesellschaft ist. Ich weiß das vorher – also habe ich nachher die Konsequenzen zu tragen.

Wenn ich vom Balkon im 10. Stock springe, kann ich nicht erwarten, dass mir eine wundersame Rettung zu Teil wird. Auch das Balancieren auf dem Geländer, ohne Absicht herunter springen zu wollen, ist meine Entscheidung und wenn ich stürze, bin ich dafür verantwortlich und habe die Konsequenzen zu tragen. Es gibt Menschen, die können ihr ganzes Leben auf dem Geländer stehen. Ich habe das probiert und ich konnte es nicht – ich bin gefallen und ich wurde wundersamer Weise gerettet. Wie dumm muss man sein, sich noch einmal auf das Geländer zu stellen?

Mit dieser radikalen Überzeugung, stieß ich bisher in allen Selbsthilfegruppen an nicht überwindbare (Verständnis-)Grenzen.
Eugene Faust - 20. Jul, 13:46

Ich wollte Ihnen nur mal sagen, dass ich gerne lese was und wie Sie schreiben, auch wenn ich nicht betroffen bin.

Kroepel - 1. Aug, 14:49

Überraschung (I)

Ich gestehe, dass mir das gefällt und mich motiviert, weiter zu schreiben. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
oldiesp - 20. Jul, 15:02

Danke und eine Frage

Ich bin ihren Beiträgen in einem anderen Forum ebenfalls begegnet und sie haben für mich als Angehörige zum Verständnis dieser Krankheit stark beigetragen.

Ich bin dort auch auf ihren ganz kurzen Hinweis auf ihre Symptome für den Kalten Entzug gestoßen. Da in diesem Forum aber strikt abgelehnt wird, darüber näher zu schreiben und auch im Net darüber keine näheren Informationen zu finden sind, es mir aber als Angehörige sehr, sehr wichtig erscheint , darüber Bescheid zu wissen, möchte ich Sie folgendes fragen:
Bezieht sich Zittern nur auf die Hände? Sie schreiben von Schüttelfrost. Heißt das, es kann den ganzen Körper erfassen?

Ich wäre ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir darauf Auskunft geben könnten. Vielen Dank und alles Gute, ihnen und ihrer Familie für die Zukunft.

Kroepel - 1. Aug, 14:57

Überraschung (II)

Noch jemand, der hier liest ... - danke.
Ich hatte sowieso vor, irgendwann über dieses Thema etwas zu schreiben - aber ich bitte schon vorab zu berücksichtigen, dass ich nur über meine ganz speziellen persönlichen Erfahrungen berichten kann und lediglich über ein wenig mehr Wissen über die Krankheit verfüge, als der normalsterbliche Nichtalkoholiker.

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