Freitag, 2. November 2012

Trockenzeit (II)

Das Zweibett-Zimmer hatte ich (zunächst) allein. Das Bett stand am Fenster – sehr schöner Ausblick in den Garten der Uni-Klinik in Lübeck – mit Gittern! Zwei kleine Schränke, was ich aber nicht schlimm fand, denn ich ging davon aus, dass ich am Wochenende wieder zuhause sein würde (falsch!). Das ich wirklich in einer fast geschlossenen Abteilung der Psychiatrie war, dämmerte mir erst so ganz langsam richtig, als ich im Aufenthaltsbereich den Ordner mit den ganzen Beschreibungen, Regeln, Therapieangeboten und dem weiteren allgemeinen Terminplan fand und ihn durchblätterte.

Hier mal ein Auszug daraus:

Verlassen der Station: In den ersten 3 Tagen gar nicht – wenn was von außerhalb benötigt wird, kann man es sich von anderen Patienten oder den Angehörigen mitbringen lassen. Danach nur mit Genehmigung der PflegerInnen und in Begleitung mindestens eines weiteren Patienten, der auch bereits 'raus darf.

Heimfahrt: Das erste Wochenende schon mal ganz sicher nicht und das zweite auch nur bei sehr guter Prognose und überzeugendem qualifiziertem Entzugsverlauf. Weitere Wochenenden können zuhause verbracht werden, nach vorheriger Absprache, Vorbereitung, Planung und anschließender Nachbereitung – wenn man denn noch ein Zuhause hat.

Besuch: Ist jederzeit ab 7:00 Uhr gestattet – bis 20:00 Uhr, denn dann beginnt die Abendruhe die um 22:00 Uhr in die Nachtruhe übergeht – d.h. Fernseher aus und ab ins Bett.
Und natürlich: Keinerlei alkoholischen Getränke, alkoholhaltigen Lebensmittel, Drogen oder Ähnliches auf der Station – Zuwiderhandlung führt zu sofortiger Entlassung sprich Rauswurf!
Taschen- und Schrankkontrollen dürfen jederzeit durchgeführt werden.

Täglich wird der Atemalkohol kontrolliert – auch mal so zwischendurch - und natürlich nach der Rückkehr von einem Ausgang – positives Ergebnis verursacht sofortige Entlassung.

Man stand eigentlich mehr oder weniger die ganze Zeit unter einer gewissen Kontrolle – und ich fand das nicht schlimm, sondern durchaus angemessen. In den ersten drei Tagen der Entgiftung wurden auch alle 2 Stunden der Blutdruck und das allgemeine Befinden kontrolliert und es war immer jemand da, falls etwas passieren sollte. Morgens und abends gab es zur Mahlzeit eine Calciumtablette, ansonsten gab es keine entzugsunterstützenden Medikamente für uns Alkoholiker.

Mit dem Zweibett-Zimmer für mich allein hatte es noch am ersten Abend ein Ende – gegen 21:00 Uhr wurde jemand aufgenommen – wie sich herausstellte, hatte der sich auch nach einem kalten Entzug selbst eingeliefert – allerdings war der Kollege auch schon zum wiederholten Mal da – er kannte sich aus. Er wechselte ein zwei Sätze mit mir und ging dann ins Bett, wo er nach fünf Minuten anfing zu schnarchen – so laut, dass an Schlafen für mich nicht zu denken war. Ich war aber auch nicht müde – der Entzug hielt mich wach. Ich habe mich dann in den Aufenthaltsbereich gesetzt und es mir mit einem Buch gemütlich gemacht. Mark Twain – Tom Sayer und Huckleberry Finn – hatte ich im Regal gefunden – ich hatte mir selbst nichts zu lesen mitgenommen.

So ab 22:00 Uhr wurde mir ziemlich heiß und der Puls ging in die Höhe – das war es dann aber auch schon mit den Entzugserscheinungen – die schlimmen Angstattacken und Herzflimmern blieben glücklicherweise aus. Der Blutdruck war nicht so toll – wie auch – musste mein Herz doch das ganze Blut durch meine mittlerweile doppeltnormalgroße verfettete Leber pressen. Aber es ging mir eigentlich ganz gut dabei.

Die erste Nacht verbrachte ich also schlaflos. Dadurch bekam ich dann am frühen Morgen mit, wie zwei Patientinnen sich schon um 6:00 Uhr(!) auf den Weg machten, um am Vortag bestellte Sachen für die anderen Patienten einzukaufen. Ich nenne die beiden hier Christel und Rosi – Namen sind hier frei erfunden, alles andere nicht. Rosi war die deutlich ältere der beiden und machte auf mich einen, ein wenig "verhuschten", Eindruck. Da waren wohl schon einige Neuronen unwiderruflich im Nirwana verschwunden. Rosi war auch schon zum wiederholten Male in der Klinik und bereits in der dritten Woche ihres x-ten qualifizierten Entzugs. Sie bemühte sich, so etwas wie die "gute Seele" der Station darzustellen, weil sie sich ja so gut auskannte und auch überall bekannt war. Sie wuselte jedenfalls überall und nirgends herum und hatte zu allem etwas zu sagen. Ich war ja erst den ersten vollen Tag da und in den ersten drei vier Tagen der Entzugstherapie ist nichts anderes vorgesehen als nüchtern werden, ausruhen, gar nichts tun und das Nichttrinken in sich einfließen zu lassen. Ich hatte also Gelegenheit, mir alles genau anzusehen und zu beobachten.

Der erste Tag verplätscherte mehr oder weniger, unterbrochen von der Vorstellung bei der Stationsärztin und dem Oberarzt und auch noch dem Chefarzt. Mittagessen wurde gebracht und die meisten (viel zu fetten) Damen und Herren meckerten darüber, was das Zeug hielt. Keine Frage, auch ich war und bin viel zu fett – aber ich meckere nicht über Essen, welches ich mir vorher aus einer umfangreichen Speisekarte ausgesucht habe. Nach dem Mittag hatten die anderen irgendwelche gruppentherapeutischen Sitzungen und ich war allein im Gemeinschaftsraum und habe gelesen.

Spät am Nachmittag gab es einen weiteren Neuzugang. Ein Mädel (18 Jahre alt, wie ich später erfuhr), spindeldürr, Tabletten- und Alkoholmissbrauch, mehrere Suizidversuche und Bulimie, die über diesen ganzen Mist sprach, als würde sie mir was aus der Schule oder von ihren Reitstunden erzählen. Sie kündigte auch an, dass sie sowieso nur zwei Tage bleiben würde, - Entgiftung eben – und dann bei den nächsten "Medis" mit "Alk" ein bisschen "vorsichtiger" sein würde, damit sie nicht gleich wieder hier landet. Sie müsste jetzt halt nur noch der "Psychofotze" klar machen, dass sie sich nicht gleich wieder die Pulsadern aufschneidet. Ganz ehrlich, mir fiel nichts, aber auch gar nichts dazu ein. Was soll man dazu auch sagen – als ebenfalls Patient auf einer psychiatrischen Station. Welch eine Vergeudung von Lebensenergie!

Das Ende der Therapiesitzung der anderen Patienten "erlöste" mich dann von dem Mädel, dem ich am liebsten so lange durch den Kopf gewuschelt hätte, bis endlich die Hirndurchblutung wieder einsetzt. Es gab dann bald Abendbrot (mit dem immer dazugehörendem Gemecker) und im Anschluss hatte ich dann Gelegenheit, meinen Zimmerkollegen etwas näher kennen zu lernen. Bernd war alter "Alkoholikerhase" und bereits zum dritten Mal da. Er gehörte zu der Klasse Alkoholiker, die sich irgendwann anfallsartig volllaufen lassen, bis sie buchstäblich umfallen. Nach dem ersten Aufwachen wird sofort weitergesoffen, bis zum nächsten Absturz. Die Orgie endet, wenn kein Alkohol mehr da ist / beschafft werden kann, mit schlimmer Verletzung / Tod oder auch – so wie bei Bernd – dadurch, dass die Bewusstlosigkeit so lange dauert, dass man in den kalten Entzug kommt und mit daraus resultierenden Krampfanfällen die eigene Wohnung verwüstet. Ich muss sagen, dass ich in den drei Wochen eine ganze Menge über Formen des Alkoholismus gelernt habe, die man so nicht im Internet, in Büchern oder sonst wo findet.

Mehr aus der Zeit meines qualifizierten Entzuges gibt es dann demnächst.

Ein schönes Wochenende wünscht
Der Kroepel

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